Geplanter Inflationsausgleich ist falsch berechnet

Sachverständige fordern Überarbeitung des Gesetzentwurfs

„Wir als Verband begrüßen, dass die Bundesregierung die Notwendigkeit eines Inflationsausgleichs für rechtliche Betreuerinnen und Betreuer erkannt und einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht hat. Jedoch befürchten wir, dass es mit den vorgesehenen Ausgleichszahlungen für selbstständige Berufsbetreuer*innen und Betreuungsvereine nicht möglich sein wird, ihre Arbeit kostendeckend – und schon gar nicht leistungsgerecht – zu refinanzieren“, sagte der Vorsitzende des Bundesverbandes der Berufsbetreuer*innen (BdB) Thorsten Becker in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses zum Betreuungsorganisationsgesetz.

© Sven Darmer

Der stellvertretende BdB-Vorsitzende Hennes Göers sprach für den Betreuungsverein Bremerhaven. „Die strukturellen und finanziellen Defizite im Bereich der rechtlichen Betreuung drohen die Betreuungsrechtsreform scheitern zu lassen. Es besteht die Gefahr, dass die jetzigen Rahmenbedingungen nur noch zu einer ‚Verwaltung‘ betroffener Menschen führen und wesentliche Inhalte der UN-BRK und Grundlagen des Betreuungsrechts künftig nicht erfüllt werden können“, warnte Hennes Göers im Rechtsausschuss.

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung ist eine Ausgleichszahlung von 7,50 Euro pro Betreuung und Monat vorgesehen. Eine Mitgliederbefragung des Verbandes ergab jedoch, dass sich Kosten für rechtliche Betreuer*innen von 2019 bis 2022 um 19,3 Prozent erhöht haben. Dies entspräche einer Ausgleichszahlung von 25,89 Euro pro Betreuung und Monat. Hennes Göers: „Die Kostenentwicklungen machen deutlich, dass die Erhöhungen der Fallpauschalen aus dem Jahr 2019 bereits jetzt nicht mehr ausreichen, um die Steigerungen bis Ende 2022 zu kompensieren. Die Kostensteigerungsraten für 2023 und die Folgejahre bis zur geplanten Evaluation des Reformgesetzes Ende 2024 werden die wirtschaftliche Lage weiter verschärfen.“

Der Verband kritisiert erneut die Berechnungsgrundlage: „Der Gesetzentwurf verkennt, dass Berufsbetreuer*innen aus einer eventuellen Vergütungsanpassung nicht nur ihre erhöhten Betriebsausgaben, sondern auch ihren persönlichen Lebensunterhalt bestreiten müssen. Entsprechend müssen Betreuungsvereine nicht nur die Gehälter ihrer Mitarbeitenden zuzüglich des Arbeitgeberanteils an den Sozialabgaben, sondern auch ihre gestiegenen Betriebsausgaben refinanzieren. Dem wird eine Orientierung allein an der Gehaltssteigerung im öffentlichen Dienst in der vorgelegten Form nicht gerecht“, so Thorsten Becker. In der Begründung des Gesetzentwurfes werde außerdem die Tarifsteigerung im öffentlichen Dienst für den Zeitraum Juni 2023 bis Dezember 2024 berechnet. Jedoch seien die Folgen der Inflation bereits seit Anfang 2022 zu spüren und blieben auf diese Weise unberücksichtigt.

Ferner bemängelt der BdB, dass für den Inflationsausgleich für Berufsbetreuer*innen anders als im Öffentlichen Dienst keine Steuer- und Abgabefreiheit geplant sei. „Immer mehr selbstständige Betreuer*innen und Betreuungsvereine müssen aufgeben. Wenn die Rahmenbedingungen sich nicht ernsthaft verbessern, müssen die Betreuungsbehörden als ‚Ausfallbürge‘ die Betreuungen übernehmen, was zu einer erheblichen personellen und finanziellen Mehrbelastung der Kommunen führen dürfte“, so Thorsten Becker.

Neben den beiden Berufsverbänden und dem Betreuungsverein Bremerhaven wurden Sachverständige der Bundesvereinigung Lebenshilfe sowie des Deutschen Städtetages und des Deutschen Landkreistages gehört.

Einig waren sich die Expert*innen, dass der geplante Inflationsausgleich zwar ein erster wichtiger Schritt sei, doch greife der Ausgleich zu kurz, um die Arbeit von Betreuungsvereinen und Berufsbetreuer*innen zu sichern und in die Zukunft zu führen.

Die Bundesvereinigung Lebenshilfe kritisiert, dass Leidtragende die Menschen seien, „die auf eine Unterstützung durch rechtliche Betreuer*innen angewiesen sind. Die Unterstützung zur gleichberechtigten Rechts- und Handlungsfähigkeit, die mit Art. 12 der UN-Behindertenrechtskonvention auch in Deutschland geltendes Recht ist, kann so nicht mehr sichergestellt werden. Ebenso ist die Umsetzung der seit dem 1. Januar 2023 geltenden Betreuungsrechtsreform gefährdet“, so Dr. Lydia Hajasch, Referentin Recht der Lebenshilfe.

Betreuungsvereine und Berufsbetreuer*innen müssten deutlich höhere Fallzahlen an zu betreuenden Menschen übernehmen, um die Finanzierung zu sichern. Dies ginge zu Lasten der Betreuten und widerspräche den Zielen der Reform.

Die Sachverständigen fordern die Bundesregierung auf, den Gesetzentwurf zu überarbeiten.

Mehr Informationen:

www.berufsbetreuung.de | X: @BdB_Deutschland |  BdB-Vergütungskampagne

  • Die Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages in voller Länge.

Pressekontakt:
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Über den BdB:
Der Bundesverband der Berufsbetreuer*innen e.V. (BdB) ist mit rund 8.000 Mitgliedern die größte Interessenvertretung des Berufsstandes Betreuung. Er ist die kollegiale Heimat seiner Mitglieder und macht Politik für ihre Interessen. Er stärkt seine Mitglieder darin, Menschen mit Betreuungsbedarf professionell zu unterstützen, ein Leben nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu führen – selbstbestimmt und geschützt. Der BdB wurde 1994 gegründet – zwei Jahre, nachdem mit dem Betreuungsgesetz Konzepte wie „Entmündigung“ und „Vormundschaft“ für Erwachsene abgelöst wurden. Bereits damals leitete ihn der Gedanke, Menschen mit Betreuungsbedarf in Deutschland professionell zu unterstützen, so dass sie ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können. Mit seiner fachlichen Expertise und viel Idealismus setzte sich der Verband bereits frühzeitig für mehr gesellschaftliche Teilhabe betreuter Personen ein, wie sie erst später gesetzlich verankert wurde. Handeln und Entscheidungen der BdB-Mitglieder basieren auf demselben humanistischen Menschenbild, das auch der UN-Menschenrechtskonvention von 1948 und der UNBehindertenrechtskonvention von 2006 zugrunde liegt.